CN Depression, Suizid, Rassismus.
Leider konnte ich nur wenige wissenschaftliche Studien finden, die die Auswirkungen von Rassismus auf die Psyche von Betroffenen untersucht haben. Allerdings berichten viele Menschen, die über Jahre Rassismus erfahren haben, von psychischen Erkrankungen. Daher habe ich entschieden, über meine Erfahrungen und deren Auswirkungen auf meinen heutigen Alltag zu schreiben. Vielleicht kannst du etwas für dich mitnehmen.
Ich bin in einer Kleinstadt im nördlichen Ruhrgebiet aufgewachsen. Meine Kindheit und Jugend waren durchzogen von rassistischen Übergriffen. Sobald ich die elterliche Wohnung verlassen habe, wurde ich zur laufenden Zielscheibe. Ob in der Schule, im Sportverein oder auf der Straße, nirgendwo war ich vor rassistischen Anfeindungen sicher. Ich wurde fast täglich beleidigt, angepöbelt, bedroht oder angegriffen. Mit der Zeit zog ich mich immer weiter zurück, wurde schwermütig und suizidal. Als Kind habe ich das alles nie hinterfragt, schließlich kannte ich die Welt nicht anders.
Mit dem Ende der Schulzeit besserte sich meine Situation, sowohl sozial als auch psychisch. Ich zog aus dem Scheißloch weg, wo ich aufgewachsen bin, lernte Freund*innen fürs Leben kennen, schloss mein Studium erfolgreich ab und startete meine Karriere in Hamburg. Einige Jahre lang ging es mir gut, bis 2008 die Weltwirtschaftskrise zu Stellenabbau und katastrophaler Stimmung bei meinem damaligen Arbeitgeber führte. Im Frühjahr 2009 konnte ich morgens kaum noch aufstehen, mein Lebensmut war nahezu aufgebraucht.
Ein Ausflug nach Santiago de Compostela stabilisierte meinen mentalen Zustand kurzzeitig, danach allerdings ging es zehn Jahre lang stetig bergab. An manchen Tagen blieb ich auf dem Weg zum Supermarkt einfach stehen und konnte minutenlang nicht weiterlaufen. Im Gespräch mit meinem damaligen Therapeuten kam nach und nach heraus, dass meine Depression wahrscheinlich von meinen Rassismuserfahrungen herrührt. Allerdings konnte er mir mangels Rassismusexpertise nicht helfen. Daher kann ich jeder betroffenen Person nur raten, in Vorgesprächen mit Psychotherapeut*innen die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen abzufragen.
Zwischen Verständnis und Ratlosigkeit
Meine Vergangenheit wirkt sich äußerst kreativ und vielseitig auf mein heutiges Leben aus. Am deutlichsten zeigt sie sich durch die Depression, die mich schubweise heimsucht. Während eines solchen Schubs bin ich erdrückend traurig, erschöpft und lebensmüde. Daneben darf ich mich noch mit weiteren Symptomen herumschlagen, etwa dem durchgehenden Unsicherheitsgefühl, sobald ich allein vor die Tür gehe. Ich empfinde nur selten Freude und bin praktisch nie glücklich. Erfolgserlebnisse halten nur kurz an oder stellen sich erst gar nicht ein, meistens ist in mir alles dunkel.
Meinem jetzigen Arbeitgeber habe ich bereits kurz nach unserem Kennenlernen von meiner Erkrankung erzählt. Er hat völlig entspannt reagiert und räumt mir alle Freiheiten ein. Das war bei meinem vorherigen Arbeitgeber anders. Für meine Herzmuskel-/Herzbeutelentzündung und Burnout haben die Geschäftsführer mich verantwortlich gemacht. Einer von ihnen hat mich, während ich krankgeschrieben war, vor der gesamten Belegschaft als nicht belastbar bezeichnet. Er weiß bis heute nicht, dass ich den geschlossenen Livestream für die remote arbeitenden Kolleg*innen mitverfolgt und alles mitgehört habe. Wer es als Arbeitgeber*in besser machen möchte, sollte sich in das Thema einlesen, flexible Arbeitszeiten ermöglichen und die Arbeitsbelastung der betroffenen Person steuern. Allein durch Verständnis und Vertrauen kann eine depressive Person an Stabilität gewinnen.
Kaum echte Hilfe für Betroffene
Von meinem privaten Umfeld erwarte ich nichts. Die meisten wissen nichts über meinen aktuellen Zustand, von anderen habe ich schon zu hören bekommen, ich sei „nicht richtig krank“. Früher habe ich gedacht, ein gefährdetes Menschenleben wäre das stärkste Alarmsignal an andere. Spätestens dann, so meine naive Vorstellung, würde das Umfeld aufschrecken und sich der betroffenen Person annehmen. Heute weiß ich, dass das Quatsch ist. Jeder Mensch hat seine eigenen Päckchen zu tragen und gar keine Nerven für fremde Probleme. Betroffene Personen sind meist allein, deshalb bringen sich ja so viele Menschen um. Zur allgemeinen Beruhigung wird dann behauptet, das Umfeld hätte nichts tun können. Aus meiner Perspektive kann ich nur sagen: Ich habe nicht unbedingt meinem Umfeld zu verdanken, dass ich noch lebe. Das ist kein Vorwurf, lediglich eine Feststellung.
Es gibt kein Patentrezept, wie man einer betroffenen Person „richtig“ hilft. Was definitiv falsch ist:
- nicht ernstnehmen, verharmlosen oder mit Floskeln überspielen
- Hausmittelchen empfehlen und schlaue Ratschläge geben (du musst mehr in die Sonne, mach mal Sport, versuch mal Yoga/Meditation usw.)
- von den eigenen Problemen erzählen
- mit anderen Krankheiten vergleichen
Es ist nicht einfach, depressiven Menschen beizustehen. Im Gegenteil, es ist anstrengend, ermüdend und undankbar. Du tust es nicht, um gefeiert zu werden, sondern weil du allein es für richtig hältst. In den meisten Fällen wird niemand deine Mühen sehen. Aber du weißt, dass du da warst, als andere nicht da waren. Dass du vielleicht ein Menschenleben gerettet hast. Manchen reicht das.
Hilfe bei Suizidgedanken
Du bist selbst suizidal und suchst Hilfe? Ruf hier an: 0800/1110111 (TelefonSeelsorge).

