Schon der Auftaktfilm provozierte ein enormes Medienecho, dazu butterte der Konzern richtig viel Geld in die Ausspielung. Eine prominente Hauptdarstellerin, ein solide gecastetes Ensemble, alles verpackt im seit Jahren beliebten Mockumentary-Look – fertig war eine richtig coole Kampagne für die Bahn. Oder doch nicht? Was auf den ersten Blick nach einem kommunikativen Megaerfolg aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen und etwas Hirninvestment als die totale Bankrotterklärung eines Unternehmens.

Die Bahn ist am Ende. Sie ist dermaßen am Ende, dass in der Presse der berechtigte Verdacht aufgekommen ist, das Unternehmen würde verspätete Züge bewusst ausfallen lassen, um die Verspätungsstatistik zu schönen. Sie ist mittlerweile zu einem schlechten Witz heruntergewirtschaftet, hauptsächlich von Ministern der CSU; im In- und Ausland gilt die deutsche Bahn als chaotische Lachnummer auf sehr vielen Rädern. Früher haben sich die Deutschen über den ÖPNV in Italien oder Spanien lustig gemacht. Heute träumt die Bahn von den Statistiken von Trenitalia oder Renfe. Und zwar schlecht.

Ich war gute 15 Jahre Besitzer einer BahnCard 50, leidgeprüfter Vielfahrer und Stammkunde. Schon um 2010 herum hatte auf meiner Strecke (Hamburg – Ruhrgebiet) praktisch jeder Zug ein Problem. Keine Fahrt ohne Verspätung, geänderte Wagenreihung, fehlende Wagen, defekte Reservierungsanzeige. Wie können Züge, die in Altona losfahren, am Hauptbahnhof schon fünf Minuten verspätet sein? Allerdings konnte ich mich auf bestimmte Strecken noch einigermaßen verlassen, beispielsweise von Hamburg nach Berlin. Heute, 2025, funktioniert nichts mehr.

Die Bahn ist kein ernstzunehmendes Verkehrsmittel mehr

Aktuell fährt meine Frau regelmäßig von Hamburg nach München und zurück. Jeder Zug, wirklich jeder einzelne, kam verspätet an. Die Züge nach Hamburg hatten bei der Ankunft jeweils gut eine Stunde Verspätung. Wir leben in einem Land, in dem Menschen die Bahn nicht für wichtige Termine nutzen können. Wer in Japan um 11 Uhr einen Geschäftstermin hat, plant die Ankunft um 20 vor am Terminort und ist dann einfach da. In Deutschland müsste ich anderthalb, zwei Stunden früher los, um ausreichend Puffer für die ganzen Kapriolen der Bahn zu haben. Die Bahn ist hierzulande kein ernstzunehmendes Verkehrsmittel, das muss man sich einmal vorstellen.

Jetzt kommt die Bahn mit der aktuellen Kampagne um die Ecke. Im Mittelpunkt steht eine Webserie namens „Boah, Bahn!“ mit Anke Engelke in der Hauptrolle. Die Serie begleitet Mitarbeitende (keine echten natürlich), die sich mit den alltäglichen Problemen als Angestellte eines schlecht geführten Unternehmens herumschlagen müssen. Kernbotschaft: Wir sind scheiße, akzeptiert es und entspannt euch. Ich arbeite seit 20 Jahren in der Marketingbranche. Diese Kampagne ist ohne Übertreibung eine der unverschämtesten und schlechtesten, die ich je mitbekommen habe. Als Marke mit den eigenen Fehlern zu spielen, ist eine nette kommunikative Strategie, um den Kritiker*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Allerdings spielt die Bahn-Kampagne nicht mit den eigenen Fehlern. Die gesamte Kampagne ist darauf ausgerichtet, den Kund*innen (!) die Schuld für die schlechte Stimmung zuzuschieben.

Eine Kampagne, die aggressiver macht als eine Bahnfahrt

Jeder Clip der Kampagne sagt im Grunde aus: Bei uns funktioniert nichts, aber die Mitarbeitenden können doch nichts dafür, seid nice. What?! Man möchte gelinde gesagt der Person bei der Bahn, die für das Marketing verantwortlich ist, das Gesicht massieren. Ich höre bereits Fahrgäste und Mitarbeitende dem Bahnvorstand entgegenbrüllen: „Eure Scheiß-Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich und nicht wir!“ Genau, Bahnvorstand, ihr seid dafür verantwortlich, dass die Mitarbeitenden den ganzen Scheiß abbekommen. Nicht die Kund*innen, die Hunderte Euro bezahlen, um auf schlimmste Art von A nach B zu kommen. Ich wiederhole: IHR seid verantwortlich, NICHT die Kund*innen. Das ist so, als würde man als Vermieter*in ein Haus komplett verwahrlosen lassen und sagen: Seid doch netter zu den Mitarbeitenden der Hausverwaltung, die können doch nun wirklich nichts dafür, entspannt euch. Was zur Hölle?

Die Kampagne mag beliebt sein und Millionen Views und Likes abgreifen. Allerdings verankert sie bei den erreichten Menschen den ohnehin schon desaströsen Ruf der Bahn als absoluten Chaosladen, der den berechtigten Ärger der Reisenden ins Lächerliche zieht. Kein Mensch schaut sich die Kampagne an und denkt sich: Was für ein lustiger Haufen, da scheiß ich doch auf Geld und Lebenszeit und komme für 180 Euro zu spät zu meiner Verabredung. In der Vergangenheit gab es bereits einige bekannte Kampagnen, die sich langfristig als Sargnagel für die Marke herausgestellt haben („20 % auf alles – außer Tiernahrung“). Kreative tendieren dazu, mediales Echo und begeisterte Reaktionen auf die Kampagne als Erfolg zu werten. Dabei haben Kreative eigentlich nur eine Aufgabe: die Marke bzw. das Unternehmen erfolgreich(er) zu machen. Nicht mehr, nicht weniger.