In den vergangenen Wochen hingen in Hamburg viele Plakate der Volksinitiative „Hamburg Werbefrei“. Knapp 66.000 Unterschriften hätte sie benötigt, am Ende fehlten gut 15.000. Parallel lief eine massive Gegenkampagne des Fachverbands Außenwerbung. Ich möchte möglichst neutral über die Gründe des Scheiterns schreiben, aber auch über die Chancen für Befürworter*innen und Gegner*innen. Los geht’s.
Aus Transparenzgründen möchte ich vorwegschicken: Ich bin ein Werber, der der Werbebranche kritisch gegenübersteht. Weder halte ich Werbung und Marketing für generell böse, noch feiere ich Werbung oder Werbende distanzlos ab. Vor kurzem habe ich hier meine Kolleg*innen auseinandergenommen, die Lügen über die Initiative verbreitet und sich abfällig geäußert haben. Einige der Kritisierten haben mir vorgeworfen, ein Nestbeschmutzer zu sein und die Initiative zu unterstützen. Kritikfähigkeit ist eine Frage der Reife, die vielen Werber*innen fehlt.
Über die Gegenkampagne habe ich bereits geschrieben. Grobe Zusammenfassung: extrem peinlich, extrem schlecht. Dass eine Initiative gegen Werbung eine schlechte Kampagne fährt, erschließt sich mir einigermaßen. Aber wie Außenwerbung FÜR Außenwerbung dermaßen unterirdisch sein kann, möchte mir nicht zwischen die Schläfen. Wenn ich mich als Werber für eine Pro-Werbung-Werbekampagne fremdschäme, ist sie Schrott. Ganz einfach. In der Kampagne wurden Personen aus dem Alltag gezeigt, die alle aus persönlichen Gründen Außenwerbung abfeiern (ja, im Ernst). „Dank Außenwerbung lebt mein Kind noch“, „Dank Außenwerbung konnte Hitler besiegt werden“, sowas hätte noch gefehlt, ansonsten war alles dabei. Bodenlos.
Große Ziele, aber leider kein Navi
Die Kampagne der Initiative selbst war nicht viel besser. Der Name „Hamburg Werbefrei“ hat bis zuletzt die Leute glauben lassen, die Initiative wolle sämtliche Werbung aus der Stadt verbannen. Und die begleitende Plakatkampagne hat absolut nichts erklärt. Die Motive waren kryptisch, klare Handlungsaufforderungen (mit schlüssiger Motivation) schlichtweg nicht vorhanden. Meine Frau, Journalistin und Autorin, hat völlig zu Recht gefragt: Wieso haben die ihre Plakate nicht an die LED-Screens gepackt und draufgeschrieben: „Diese Scheiße muss weg!“? Ja, wieso eigentlich nicht?
Statt pseudokreativ zu sein, hätte die Initiative 1:1 kommunizieren sollen, was sie fordert und was man als Bürger*in konkret tun soll. Stattdessen wirkten die Plakate wie ein Kunstprojekt. Und wir wissen ja, wie geil Kunstprojekte von der Allgemeinheit angenommen und unterstützt werden. Genau. Die Kampagne war also ein totaler Reinfall, die Plakatmotive grottig. Aber war die Initiative genauso ein Reinfall und grottig? Die Zahlen sagen eindeutig: nein, war sie nicht. Mehr als 50.000 Menschen haben für „Hamburg Werbefrei“ unterschrieben – trotz der schwammigen Botschaft und der kryptischen Kampagne. 50.000! Hätte die Initiative ihre Botschaft klar und verständlich kommuniziert, wie viele Unterschriften wären dann zusammengekommen? Ich vermute, weit mehr als die erforderlichen 65.652. Das muss Konsequenzen haben.
Findet die Werbebranche die Bremse, bevor alles verboten wird?
Die Betreiber der Screens werden nichts ändern wollen. Im Gegenteil, Ströer, WallDecaux und Co. überlegen vermutlich rund um die Uhr, wo sie den Leuten mit weiteren Screens auf die Zwiebeln gehen können. Ich prophezeie, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem die Menschen genug haben vom Displayterror. Die Frage ist, ob die Werbebranche herausfinden möchte, wo dieser Punkt liegt – oder ob sie in der Lage ist, rechtzeitig zur Vernunft zu kommen, bevor doch alles verboten wird.
Ein Branchenkollege von mir mutmaßte in einem NDR-Interview, dass die Initiative wahrscheinlich keine gute Agentur für ihre Kampagne gewinnen konnte. Mein Take dazu: Sogar die hinterletzte Nazipartei findet eine Kreativagentur. Wieso also sollte eine solche Initiative nicht in der Lage sein, ein paar gute Leute für eine an sich nachvollziehbare Sache zu engagieren? Ich kenne eine ganze Reihe Werber*innen, die „Hamburg Werbefrei“ grundsätzlich gut finden. Und es sind keine Gurken, sondern Top-Leute aus der Branche. Das wäre also mein Rat an die Organisator*innen: Weniger Laberbirnen, dafür ein paar Leute mit gesundem Menschenverstand, die die Kommunikation verantworten.
Die visuelle Gewalt muss aufhören
An die Werbebranche kann meine Botschaft nur lauten: Nehmt die Leute ernst. Solange ihr über 50.000 Unterschriften lacht, die trotz einer miserablen Kampagne zusammengekommen sind, werdet ihr auf ein Verbot schlecht vorbereitet sein. Viele Menschen da draußen sind genervt von eurer Werbung. Was bedeutet das? Der schlechte Ruf der Branche schreckt den Nachwuchs ab, da können wir uns noch so sehr für die drei Prozent Umsatzsteigerung beim Kunden abfeiern. Wenn niemand mehr in die Werbung geht, war’s das mit den tollen Agenturmodellen.
Vielleicht wiederhole ich mich. Als Kreativer habe ich den Anspruch, für meine Kundschaft die Menschen da draußen mit meinen Einfällen und Argumenten zu gewinnen – und nicht mit Gewalt. Die Stadt mit Screens zuzuballern und alles und jeden niederzuschreien ist Gewalt. Wer das gutfindet, ist in meinen Augen ein schlechter Mensch.