Aktuell läuft in Hamburg die Kampagne „Hamburg werbefrei“. Ziel der Initiative: die Reduktion aggressiver OoH-Werbung. Den meisten Menschen geht die Kampagne am Arsch vorbei, eine Gruppe fühlt sich dagegen persönlich angegriffen: die Werbebranche. Und sie schlägt zurück, allerdings äußerst ungelenk.
Man muss gar nicht so sehr ins Detail gehen, wenn es um die Motive und Ziele der Initiative „Hamburg werbefrei“ geht. Da fühlen sich ein paar Menschen von den ganzen Screens und Displays an Hamburgs Straßen belästigt. Kann man verstehen, muss man nicht, an sich kein Aufreger. Seit die Initiative unzählige Plakate für ihre Sache aufgehängt hat, knallen bei einigen Werbern (Gendern unnötig) die Sicherungen durch.
Der bekannte Agenturinhaber und Hobby-Vlogger Mirko K. hat ebenso Argumente gegen ein „Werbeverbot“ aufgezählt wie diverse andere kleine und große Persönlichkeiten aus der Branche. Mein liebstes Scheinargument: Arbeitsplätze. Während dieselben Fachpersonen KI als das Ding preisen und mehr und mehr Agenturen Arbeitsplätze wegstreichen, um mithilfe von KI-Werkzeugen mehr Leistung aus weniger Personen rauszuquetschen versuchen, kommen exakt dieselben Personen an anderer Stelle um die Ecke und heulen wegen Außenwerbung herum.
Displays, Displays, Displays
Fakten: 2024 betrug der Anteil der OoH-Ausgaben 9,2 % aller Werbeausgaben in Deutschland. Digital Out of Home machte davon 43 % aus, also nicht einmal die Hälfte. Wir sprechen also von unter 4 % der Werbeausgaben. Bedeutet das, dass ohne DOOH 4 % der Arbeitsplätze in der Werbebranche wegfallen? Natürlich nicht. Werbetreibende werben da, wo sie werben dürfen. Dürfte man ab sofort nicht abschaltbare Displays in jedes Kinderzimmer stellen, würden die Werbeagenturen diese natürlich direkt befeuern. Würden sie dafür neue Leute einstellen? Nein, natürlich nicht. Diese Arbeitsplatzargumentation kommt von Menschen, die – es tut mir leid, das so deutlich sagen zu müssen – von Betriebswirtschaft keine Ahnung haben. Oder von Argumentationsketten.
Nach mehreren mäßig durchdachten LinkedIn-Posts dazu, die mir in die Timelime gespült worden sind, habe ich – ebenfalls als LinkedIn-Post – meinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht. Allerdings sachlich (im Gegensatz zu besagten LinkedIn-Posts btw.). Außerdem habe ich noch den wichtigen Satz eingefügt:
Bitte geht in euch und denkt eine Minute nach, bevor ihr was postet.
Die meisten Reaktionen stimmen mir zu. Es gab aber auch kritische Stimmen. Und der eine oder andere Verfasser, alles weiße Männer übrigens, hat obigen Satz nicht beherzigt. Vor allem ein Geschäftsführer einer mittelmäßigen Werbeagentur, dessen Profilbild einen weißen Mann Mitte bis Ende 50 zeigt. Bei vielen Männern aus der Boomergeneration merkt man schnell, dass sie in ihrem Leben noch nie für irgendetwas kämpfen mussten. Daher haben sie auch nie gelernt, Konflikte auszutragen und Widerstand auszuhalten. Das sind die, die bei „Bares für Rares“ mit markigen Sprüchen in den Händlerraum gehen und wie ein begossener Pudel mit viel zu wenig Geld wieder herauskommen. Loser eben.
Besagte Männer ackern sich hauptsächlich auch deshalb vergeblich an meinem LinkedIn-Post ab, weil dort eigentlich nur die bittere Wahrheit steht. Also dass wir Werber*innen selbst die Schuldigen des ganzen Übels sind. Und dass meine Kolleg*innen und ich viel zu oft erwarten, dass alle Menschen diesen ganzen Mist unwidersprochen über sich ergehen lassen. Hier kommen wir zum Thema Kommunikation: Wir alle teilen uns den Wohn- und Lebensraum, der Hamburg heißt. Ich als Person aus der Werbebranche möchte weiterhin Werbemaßnahmen für meine Kund*innen realisieren. Wenn es nun eine Gruppe von Menschen gibt, die sich durch meine Maßnahmen gestört fühlt, sollte ich mich dringend und ernsthaft damit beschäftigen – und nicht reagieren wie ein Vierjähriger, der gegen seinen Willen angeschnallt wird.
Eine Branche, die sich nur um sich selbst dreht
Aber so ist das mit den Werber*innen und der Werbebranche. Am Sonntag noch holt die braunblaue Nazipartei die meisten Stimmen bei einer Landtagswahl, am Montag posten ein paar Agenturen ihre tollen (bedeutungslosen) Awards, die sie für irgendwelche belanglosen Werbeaktionen gewonnen haben. Schlimmer geht’s immer, wenn Scholz & Friends für ihre F.A.Z.-Kampagne „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf.“ die Holocaustüberlebende Margot Friedländer einspannt. Ausgerechnet die F.A.Z., möchte man rufen, mit ihren regelmäßigen Ausschlägen nach rechts. Wie passend, dass der Erfinder des Slogans „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ Viktor Muckel ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit war, der bereits 1932 in die NSDAP und die SA eingetreten ist.
Man schmort gern im eigenen Saft, sich gegenseitig zunickend. Weit weg vom Tellerrand, hinter der sich die echte Welt weiterdreht. In der Werbewelt sind alle Menschen jung und leben in der Stadt – außer den fitten Senior*innen, die jedoch dank vieler nützlicher Produkte genauso geil und dynamisch durchs Leben surfen wie die Kids. Und alle Menschen warten regelrecht darauf, die nächste Werbebotschaft zu empfangen. Das Leben besteht nur aus Touchpoints, ach, was heißt Leben, Customer Journey, so heißt das. Dass es vielleicht irgendwo Menschen gibt, deren Gehirne noch nicht komplett verrottet sind, überfordert den Werbemann. Also lasst ihn bloß in Ruhe mit der Realität.