Ich bin Jahrgang 1981 und gehöre somit zu den letzten Generationen, die eine Welt ohne Privatfernsehen, mobile Erreichbarkeit und Internet erlebt haben. Und das war ganz sicher keine gute Welt mit all den vertuschten Skandalen, Meinungsmonopolen und fehlenden sozialen Möglichkeiten. Allerdings vermisse ich persönlich an mir die Fähigkeit, meine eigene Gegenwart auszuhalten. Einfach nur sein, mitten in der Realität, mit der spektakellosen Echtheit um mich herum. Daran arbeite ich.

„Du starrst immer auf dein Handy“, sagen gern die Leute, die selbst zu viel aufs Smartphone starren. Mit dem Satz möchten sie sich vom eigenen Verhalten abheben. Bloß nicht zu den Abhängigen zählen, die den ganzen Tag und die halbe Nacht am Bildschirm kleben. Den Kern des Gedankens kennen wir alle. Was wir selbst tun, erscheint uns vertretbar. Bei anderen sind wir schneller mit unseren Urteilen. Und während ein echter Mensch neben uns sitzt, beantworten wir Textnachrichten und schauen uns irrelevante Meinungen wildfremder Personen an. Man ist nicht mehr da, man existiert nur noch irgendwo in einer Vorstellung als schemenhafter Geist.

Ich lese viele Texte, jeden Mist. Verkehrsmeldungen, Meinungen, Sportberichte. Was bringt mir das? Mein Kopf ist voller Fragmente. Hier ein Name eines Snookerweltmeisters, dort die Rugbyregeln, da die Familienverhältnisse von Miley Cyrus. Ab und an denke ich darüber nach, was aus all den Genies der Geschichte geworden wäre, hätten sie Smartphones mit Internetempfang gehabt. „Der Erfinder des Sofas hat danach nie wieder etwas erfunden“, habe ich mal bei Twitter geschrieben. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns davon abhalten, bessere Menschen zu werden und uns weiterzuentwickeln. Nicht die Menschheit entwickelt sich weiter, sondern nur die Ausschläge nach oben.

Die Menschheit entwickelt sich weiter, der Mensch nicht

In der Schule habe ich mich oft gefragt: Wie konnten die Menschen damals (also vor 1000 Jahren) nur so doof sein? Natürlich ist die Erde rund. Natürlich haben Menschen und Affen gemeinsame Vorfahren. Natürlich sterben alle, wenn man keine Kanalisation baut und die ganze Scheiße auf die Straße kippt. Meine jugendliche Naivität habe ich recht bald abgelegt, als ich mich mit der Menschheitsgeschichte beschäftigt habe. Dass die Menschen früher doof waren, stimmt. Allerdings, so meine Erkenntnis, sind sie heute genauso doof. Der allgemein wahrgenommene und in technologischer wie teilweise gesellschaftlicher Sicht stattfindende Fortschritt beruht einzig und allein darauf, dass wir als Menschheit gemeinsam voranschreiten. Daher muss niemand die Schritte gehen, die bereits gegangen wurden. Jede neue Errungenschaft der Menschheit ist das Arbeitsergebnis einiger weniger Personen, die nicht den ganzen Tag durch Feeds scrollen, sinnlose Videos schauen und mittelmäßige Kommentare posten. Ein paar Leute sind zum Mond geflogen, nur deshalb sind „wir Menschen“ zum Mond geflogen.

Die wenigsten Menschen leben in der Gegenwart, habe ich mal gelesen. Entweder leben sie in der Zukunft, indem sie sich Gedanken darüber machen, was bald ansteht oder passieren könnte. Oder sie leben in der Vergangenheit und machen sich Gedanken über Ereignisse, die geschehen sind. Auch mich strengt es sehr an, mich der Gegenwart bewusst zu machen. Im Hier und Jetzt zu sein, meine Umgebung und mich wahr- und anzunehmen. Allerdings ist es genau das, was mich vom Bildschirm löst. Einfach mal nur wahrnehmen, was ist, ohne Unterhaltung zu erwarten. Die Dauerbeschallung verändert unser Gehirn. Ob das gut oder schlecht ist, möchte ich nicht bewerten. Mich persönlich stört es, dass mein Kopf kaum noch zur Ruhe kommt. Ob eine Besserung des Zustands möglich ist, weiß ich nicht. Versuchen kann man’s ja mal.