Als ich Anfang 2008 drauf und dran war, mir eine neue Werbeagentur zu suchen, musste ich mich entscheiden: Setze ich meine steile Karriere als Gestalter fort? Schließlich hatte ich mich in anderthalb Jahren vom Grafikpraktikanten zum Art Director Online hochgearbeitet. Oder werfe ich alles weg und versuche mich als Texter? Ich entschied mich fürs Risiko. Seitdem habe ich nicht nur viel übers Texten gelernt, sondern auch über die allgemeine Meinung übers Texten. Und ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen sich beim Thema Schreiben maßlos überschätzen.

Die meisten Menschen, die irgendwann mit dem Schreiben anfangen, schreiben erst einmal einfach so vor sich hin. Dabei imitieren sie das, was sie in die Finger bekommen: Schriftsteller*innen, Autor*innen, Journalist*innen. Wer es mit dem Schreiben ernst meint und über einen entsprechenden Beruf nachdenkt, beginnt zu lernen und sich Fachwissen anzueignen. Dabei ist Schreiben nicht gleich Schreiben. Zwischen den schreibenden Zünften herrschen große Unterschiede, was sogar viele professionelle Schreibende nicht wahrhaben wollen. Viele Journalist*innen oder Autor*innen schauen auf uns Werber*innen herab und meinen, es auch (oder besser) zu können. Andererseits glauben viele Werber*innen, sie könnten jederzeit einen geilen Film drehen, ein gutes Buch schreiben oder lustige Stand-up-Comedy machen. Wild.

Die Wahrheit ist: Schreiben muss hart erlernt werden. Und zwar jede Art für sich. Die Marketingmanagerin, die spontan ihre eigenen Textvorschläge an die Agentur schickt, sollte sich klar machen: Du machst dich lächerlich, deine Texte werden in der Agentur herumgezeigt und man lacht über dich. Ich habe in den Marketingteams von Unternehmen in den vergangenen 20 Jahren keine einzige Person kennengelernt, die textlich auf professioneller Ebene kompetent war. Mir war immer ein „Uns gefällt der Text nicht“ lieber als irgendwelche abstrusen Feedbacks.

Was ist ein guter Werbetext?

Seit ich 2011 das erste Mal Personalverantwortung übernommen habe, predige ich den Junior*innen und Praktikant*innen folgenden Satz: Ein guter Werbetext ist zuallererst eine gute Idee. Viele denken, guter Werbetext sei einfach nur ein geil formulierter Text. Aber geil formulieren kann jeder Loser. Die Herausforderung besteht darin, eine gute Idee zu finden und sie anschließend präzise zu formulieren.

Es gibt eine preisgekrönte Werbeanzeige von Mercedes-Benz, die sinngemäß betitelt ist mit der Headline: „Erst entwickeln wir ein System, das den Abstand zum Vordermann regelt. Und dann ist da keiner.“ Warum ist das ein guter Text? Die Line ist schön formuliert, klar. Aber das Geile an der Line ist die Idee, die Entwicklung und den Sinn des Abstandsreglers (Innovationskraft und Sicherheitsdenken von Mercedes-Benz) mit dem Führungsanspruch der Marke (kein Vordermann: das schnellste Auto; keiner vor uns: wir sind die Nummer 1) zu verbinden. Ohne die Idee gäbe es die Line nicht. Ohne die Idee stünde da: Der Mercedes-Benz XYZ hat einen Abstandsregler und ist sehr schnell. Ungefähr so klingen die meisten Texte von Leuten, die es nicht gelernt haben.

Jeder hat das Recht auf schlechte Texte – und ausbleibenden Erfolg

Mittlerweile erkläre ich Laien nicht mehr, wie sehr sie mit ihrer Selbstüberschätzung falsch liegen. Soll doch jede*r meinen, geil texten zu können. Ähnlich betrachte ich die KI-Welle. Klar kann Mittelstands-Willi mit ChatGPT Texte für seine gesamte Website erzeugen. Aber ohne jegliches Fachwissen kann Willi nicht beurteilen, ob die Texte etwas taugen. Und dann wundert er sich, wieso niemand auf die Website findet und einkauft. Genau das Gleiche damals bei Twitter. Manch einer hat sich dort die Finger wund geschrieben und nicht verstanden, wieso niemand die Tweets liket. Ich habe genau gewusst, wie ich was schreiben muss, damit sich der Tweet verbreitet, weil ich über Jahre gelernt habe, Zielgruppen zu aktivieren.

Ich habe mein Texthandwerk bei einigen der klügsten Kommunikationsgrößen Deutschlands erlernt. Ich finde es süß, wie studierte Literaturwissenschaftler oder Linguist*innen glauben, meinen Kolleg*innen und mir in Sachen Werbetext oder Zielgruppenverständnis überlegen zu sein. Und sich dann wundern, dass deren Social-Media-Posts nicht verstanden werden und erfolglos versanden. Das erinnert mich an den Lottogewinner, der ein Autohaus eröffnet hat, ohne je in einem Autohaus gearbeitet zu haben. Der Laden ist natürlich in Rekordzeit abgesoffen. Nur weil ich mal ein Auto um den Block geschoben habe, macht es mich noch lange nicht zum universellen Autoexperten. Ungefähr so verhält es sich mit nahezu jedem Berufsfeld.

Wer meint, alles zu können, kann meistens nur labern

Ich bin ein Quereinsteiger. Ich war nie auf der Texterschmiede und habe nichts Sprachwissenschaftliches gelernt. Deshalb habe ich lange an mir und meinen Fähigkeiten gezweifelt. Heute weiß ich, was ich kann – und was nicht. Daran scheitern die meisten Menschen. Es gibt nichts Peinlicheres als Großspurigkeit ohne jede Grundlage. Niemand muss alles können. Aber im richtigen Moment den Mund halten sollte machbar sein.