Ob Roswell, 11. September oder Covid-19, die Welt ist voller Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben. Dabei handelt es sich nicht grundsätzlich um Menschen mit geringer Bildung oder niedrigem IQ. Die sind zwar auch vertreten, allerdings gibt es jede Menge Schwurbler*innen mit hohem Bildungsgrad. Promovierte Menschen mit Professuren halten Vorträge über irgendwelche angeblichen Weltverschwörungen und Chip-Impfungen. Als Mensch, der einigermaßen sein Zeug beisammenhat, steht man an der Seite, schaut sich das Elend an und fragt sich: Warum?

Während meines Studiums bekamen wir Student*innen die Aufgabe, einen Vortrag zu einem völlig beliebigen Thema zu halten. Ein Kommilitone widmete sich der ersten Mondlandung und präsentierte „Beweise“, dass die ganze Mission nicht wirklich stattgefunden hätte. Im anschließenden Gespräch wurde deutlich, dass er wirklich daran glaubte. Seitdem bin ich immer wieder Menschen begegnet, die an kleine und große Verschwörungstheorien glauben. Nach dem Schuss auf Donald Trump gab es einige hoch gebildete Menschen aus meinem unmittelbaren Umfeld, die an eine Inszenierung geglaubt haben.

Es gibt einen einfachen Grund, wieso auch gebildete und intelligente Menschen anfällig für Verschwörungstheorien sind. Rechtsradikale und Schwurbler*innen benutzen oft promovierte Verschwörungsanhänger*innen als Galionsfigur für ihre Schwurblereien. „Seht her, diese*r Prof. Dr. Dr. sagt, dass die Erde eine Scheibe ist. Es muss also stimmen.“ Nein, muss es nicht. Denn Bildung schützt nicht vor Lügen und frei erfundenen Geschichten. Und wieso nicht? Weil Verschwörungstheorien eine Erleichterung sind, ein Durchatmen, die einfache Antwort in einer überkomplizierten, anstrengenden Welt.

Die Welt ist ein Labyrinth, in der alle nach dem Ausgang suchen

Ob gebildet oder ungebildet, ob schlau oder nicht, wir leben in einer unfassbar fordernden Welt. Die Arbeitswelt wird komplexer, das Privatleben wird komplexer, die Herausforderungen ziehen sich durch jeden Aspekt unseres Lebens. Man soll an sich arbeiten, man soll ans Klima denken, an die Kinder, an Deutschland und Europa, an die richtige Wortwahl, an Ukraine, Gaza, Jemen, Sudan, an die USA, auf der Arbeit gibt es nur Ärger und Stress, die Kindererziehung ist eine Vollkatastrophe, das Smartphone schreit einen von morgens bis abends an. Wir sind alle am Ende.

In der Überforderung suchen wir nach einem Ausweg. Und Verschwörungstheorien sind ein Ausweg. Denn sie sind erfunden und dadurch frei formbar, so dass am Ende immer eine verständliche Antwort steht, die mir die Denkarbeit abnimmt. Wer sich nicht impfen lassen wollte, bekam mit den Verschwörungstheorien zu den Impfstoffen plötzlich einen unglaublich bequemen Ausweg aufgezeigt, ohne sich in die Materie einlesen zu müssen. Wer Trump nicht leiden kann, kann sich durch die Erzählung über eine Inszenierung bestätigt fühlen, dass die Orange abgrundtief böse und zu allem fähig ist. Das ist Trump zwar, aber nicht alles, was passiert, muss darauf einzahlen. Unerklärliches wird erklärlich, gleichzeitig fühlen wir uns besser informiert als „die anderen“ und dadurch überlegen. Mehr Wohlfühlen geht kaum.

Die Lösung heißt: aushalten

Die Welt ist komplex und überfordernd, viele Ereignisse ergeben keinen Sinn und sind unverständlich. Das ist völlig in Ordnung, niemand muss alles wissen oder verstehen. Allerdings solltest du ausschließlich Fachpersonen und Fachmedien zuhören, wenn du ein öffentliches bzw. gesellschaftliches Ereignis nicht verstehst, z. B. einen Regierungsbeschluss oder einen Terroranschlag. Frag keinen HIV-Experten zu Covid-19, nur weil bei beiden Themen das Wort Virus auftaucht. Und hinterfrage grundsätzlich jedes Hinterfragen. Beispiel: Die Regierung erlässt eine Ausgangssperre, um angeblich eine Pandemie einzudämmen. Auf YouTube erklärt ein seriös aussehender Typ, dass die Regierung eine Diktatur planen würde. Versuche dir daraufhin zu erklären, wieso die Regierung auf keinen Fall eine Diktatur plant. Such dir also keine Argumente für die Verschwörungstheorie, sondern dagegen. Immer. Das hilft schon in 99 Prozent der Fälle, da die Verschwörungstheorien meistens absolut keinen Sinn ergeben. Ansonsten gilt: Du musst die Welt mit ihren Irrungen und Wirrungen aushalten. Manchmal sind die Dinge so einfach, wie sie sind. Ohne doppelte Böden und geheimnisvolle Strippenzieher im Hintergrund.