Vor einigen Wochen überkam es mich mal wieder. Ich schickte einen Tweet ab, ohne nachzudenken. Diesmal ging es um Kapitalismuskritik. Tenor des Tweets: Kapitalismuskritik per iPhone abschicken ist unglaubwürdig.

Viele verstanden ihn richtig, einige aber — verständlicherweise — falsch. Die einen fragten vorsichtig nach, die anderen legten direkt los, wie wir es von diesem Internet kennen. Einer schrieb in etwa: »Nicht schon wieder. Gähn.« Ein Kapitalismuskritiker mit einem iPhone, schätze ich. Ein anderer ging etwas weiter und beschimpfte mich mit Mentions und Nonmentions. Naiv, wie ich manchmal bin, versuchte ich, auf seine unsachliche Kritik einzugehen. Trotzdem rutschte der Troll, wie ich später feststellte — er kam aus der Lachkick-Fraktion –, immer weiter in die persönliche Ecke. Dass ich nicht besser wäre (habe ich nie behauptet), dass ich arrogant wäre (klingt arrogant, finde ich), und noch so ein paar Mehlwurmfürze.

Zurückgelehnt lässt sich schlecht etwas anschieben.

Dabei drückt der Tweet einigermaßen klar aus: Mach es dir nicht bequem. Wenn ich den Kapitalismus so dermaßen scheiße und ungerecht finde, kaufe ich mir nicht das kapitalistischste und unfairste Smartphone auf dem Markt. Got it? Ein weiterer Schmalspurdiskutant kam mir mit: »Sollen wir jetzt alle wieder in Höhlen wohnen?« Ja, die Replies, die ich bekomme, bewegen sich nicht selten auf diesem Niveau. Als gäbe es nichts zwischen iPhone und Höhle.

Aber das Fairphone beispielsweise ist ja viel zu teuer, richtig? Dann lieber das Geld für Kippen und den nächsten Urlaub verballern. Revolution ja, aber komfortabel sollte es schon bleiben. Es tut mir leid. Ich kann keinen Revoluzzer ernst nehmen, der einerseits die Zockermentalität der Banken kritisiert, andererseits Kunde bei der ING-DiBa oder der Commerzbank ist anstatt z. B. bei einer Genossenschaftsbank. Das wird mir dann ein wenig zu blöd, mich von solchen Menschen kritisieren zu lassen.

Leider ist dieses Verhalten typisch für unsere Zeit, und auch ich nehme mich nicht aus. Wie viele meiner Freunde posten (schlechte) Veganerwitze und Grillfleischfotos auf Facebook, teilen aber Minuten später Petitionen gegen Tierquälerei, Walfang und Pelzindustrie? Und schon wieder: Revolution ja, aber so, dass ich auf nichts verzichten muss. Einerseits die Qualität des Journalismus kritisieren, andererseits nichts dafür bezahlen wollen — sogar hier finden Menschen noch Ausreden. Meine liebste: »Wenn es Qualitätsjournalismus gäbe, würde ich ja auch zahlen.«

Ein Restaurant eröffnet mit dem Konzept: Zahlen Sie, so viel Sie wollen. Keiner zahlt. Das Lokal beginnt zu sparen. Erst bei den Zutaten, dann bei den Portionsgrößen, und irgendwann beim Personal. Kurz vor der Pleite sagt der schlaue Journalismusexperte: »Wenn es hier Qualitätsessen gäbe, würde ich ja auch zahlen.«

Revolution ja, aber wieso fangen nicht die anderen damit an — wieso immer ich?

Am Ende müssen wir irgendwo anfangen.

Ja, wieso immer ich? Vielleicht, weil Änderungen guttun. Vielleicht, weil ich lieber vorlebe als vorgebe, wie Dinge bewegt werden können. Das hat mit moralischem Zeigefinger nichts zu tun. Wer weiterhin anderen Menschen mit unglaubwürdiger Kritik auf den Sack gehen möchte, darf das gern tun. Nur werde ich nicht zuhören — und ich werde nicht der Einzige sein.