Ich behaupte mal: Ja. Satire darf tatsächlich alles.

Charlie Hebdo ist ein gutes Beispiel. Nach den Anschlägen waren sehr viele Leute Charlie, die sich vorher nie mit der Kunst der Karikatur oder der Welt der Satire beschäftigt haben. Als diese Menschen nach und nach entdeckten, wie heftig Satire sein kann, schwangen sich viele von ihnen zu moralischen Instanzen auf und riefen: Das geht zu weit! Satire darf nicht alles!

Alles Neuland.

Sorry, ihr lieben Neusatiriker. Zunächst einmal ist es schön, dass sich viele Menschen völlig neu und unbefangen mit Satire und Karikaturen auseinandersetzen. Aber dann geht schön das Aber los. Viele von euch glauben, dass es bei Zeichnungen mit Sprechblasen und lustigen Nasen um die Pointe ginge. Um den Witz. Leider muss ich euch enttäuschen. Bei der Satire geht es nicht um den Witz, sondern um die Aussage. Charlie Hebdos Zeichnung des ertrunkenen Jungen, der später als Attentäter gezeigt wird, spiegelt nicht die Meinung des Zeichners wider — und soll auch nicht witzig sein. Diese Zeichnung bildet knallhart ab, was viele Europäer denken. Sie finden nur nicht die Verbindung in ihrem Kopf. Dass Menschen da über Geschmack diskutieren, anstatt ihre Wut auf die Straße zu bringen und das Morden im Mittelmeer zu stoppen, sagt viel über uns aus; und wie wahr die Zeichnung ist.

Neuerdings hat sich ein YouTuber in die Nesseln gesetzt, indem er den Wunsch äußerte, die streikenden GDL-Mitglieder persönlich in ein Konzentrationslager zu deportieren. Erwartungsgemäß hagelte es Kritik, auf die der YouTuber mit dem Zauberwort antwortete: Satire. Alles Satire, alles nicht ernst gemeint, Kunstfreiheit, usw. Ich habe mir dieses Video angesehen und kann aus neutraler Sicht nur Folgendes sagen: Ich glaube dem jungen Mann, dass er wirklich niemals jemanden in ein KZ deportieren würde. Ich glaube ihm auch, dass er das alles nicht ernst gemeint hat. Aber! Wir leben in Deutschland. Dies hat diverse Vorzüge und diverse Nachteile. Ein Nachteil für den jungen Mann: unsere Gesetze.

Satire darf alles, aber nicht alles ist Satire.

Es ist schlicht nicht erlaubt, Menschen minutenlang hart zu beleidigen und mit dem Tode zu bedrohen, Konzentrationslager herbeizuwünschen und über Deportationsfantasien zu schwadronieren. Wenn man Menschen herbe durchbeleidigt, ist das keine Satire — egal, wie häufig man das Wort wiederholt. Einfaches Beispiel: Ich kaufe mir einen Wohnwagen, stelle ihn auf einen Parkplatz und wohne darin. Egal wie oft ich behaupte, es sei ein Haus, es bleibt ein Wohnwagen.

An dem Video ist nicht zu erkennen, dass er eine Rolle spielt. Zeige dieses Video zehn unbeteiligten Menschen, die ihn nicht kennen. Mindestens neun werden sagen: Der meint das ernst. Bevor man sich also das Wort »Satire« zur Argumentation herbeizieht, sollte man sich ein wenig mit der Thematik beschäftigen. Nicht, weil der Oberlehrer das möchte, sondern weil es hochspannend ist und unglaublich viel Spaß macht.

Sehnsucht nach Kontrolle.

Dass Satire nicht alles darf, hatten wir schon einmal. 1933 bis 1945. Man muss nicht alles gelungen finden; die Mohammed-Karikaturen sind größtenteils totaler Bullshit und unkreativ. Aber wollen wir wirklich Satireobergrenzen? Geschmackverbote? Ich denke nicht, dass das eine Gesellschaft ist, in der wir leben möchten.