Ob zu zweit oder in großen Meetings, ob im Büro, auf dem Bau oder zu Hause: Wir Menschen sortieren alle Personen, denen wir begegnen, in eine subjektive Intelligenztabelle. Dabei entsteht automatisch eine Rangfolge im Kopf, die abbildet, wen wir für intelligenter oder weniger intelligent halten. Dabei unterscheiden sich die angesetzten Maßstäbe von Person zu Person. Die einen halten Schulabschlüsse oder Zeugnisse für relevant, die anderen gehen nach Fachwissen oder Anekdoten, nach der Sprechweise oder dem Ruf. In letzter Zeit hatte ich häufiger mit Menschen zu tun, die sich für intelligent halten, weil sie viel wissen – oder meinen, viel zu wissen. Ich möchte kurz darlegen, wieso das nicht zielführend ist.
Wenn wir unbewusst ein Intelligenzranking im Kopf erstellen, spielen viele Kriterien eine Rolle. Neben greifbaren Aspekten wie Zeugnisse und Allgemeinwissen fließen Erfahrungen, Erlebnisse und Erziehung mit in die Bewertung ein. Wer sich beispielsweise generell stark überschätzt, tut dies höchstwahrscheinlich auch bei der eigenen Intelligenz. Wer dagegen kein gesundes Selbstwertgefühl entwickelt hat, unterschätzt sich verständlicherweise. Ein solches Ranking ist also ebenso ungenau wie unzuverlässig. Allerdings erlaubt es uns eine grobe Orientierung, wie wir uns unseren Mitmenschen gegenüber verhalten sollen bzw. können.
Jede*r von uns kennt Menschen, die sich mit ihrem Wissen aufspielen. Ob berechtigt oder nicht, eins möchte ich hier deutlich machen: Menschen, die viel wissen, mögen beeindruckend oder langweilig, unterhaltsam oder nervig sein. Sie sind nicht automatisch intelligent. Abschlüsse und Bücherwissen sind keine Nachweise für Intelligenz. Es gibt reihenweise Menschen mit Doktorgrad, die an Homöopathie glauben und Impfungen ablehnen. Und dass eine Schulnote absolut willkürlich zustande kommen kann, sollte jede Person wissen, die einmal eine Schule von innen gesehen hat. Nebenbei bemerkt: Fleiß und Durchhaltevermögen haben ebenso wenig mit Intelligenz zu tun.
Menschen, die ihre Intelligenz mit Wissen messen, vergessen zwei Dinge:
- Wissen ist relativ. Was heute als Fakt gilt, kann morgen bereits veraltet sein. Darüber hinaus verwechseln heute viele Menschen Wissen mit allem, was sie mal gelesen oder gehört haben. Was irgendein Schwurbler auf TikTok vor sich hin geblubbert hat, ist kein Wissen. Das sind nur Geräusche.
- Wissen heißt nur, dass man sich Dinge gemerkt hat. Viel wissen heißt, dass man sich viele Dinge gemerkt hat. Mehr nicht. Dazu kommen eigene Erlebnisse, die so zuverlässig sind wie Zeug*innenaussagen: mal mehr, mal weniger.
Intelligenz ist nice, aber anstrengend
Ist Wissen deshalb nichts wert? Im Gegenteil, ohne Wissen wären wir alle sehr schnell tot. Allerdings ist es wichtig, stetig dazuzulernen und offensichtliche Fehler zu korrigieren. Sonst endet man als Höhlenmensch, der „Glauben“ für ein Argument hält. Dabei ist mir eine Gemeinsamkeit zwischen Menschen, die Wissen mit Intelligenz gleichsetzen, und rechten Menschen („Konservative“) aufgefallen: Beide versuchen in Gesprächen, ihr Gegenüber mit Fachwörtern und nicht belegbaren Behauptungen zu überwältigen. Da werden Zahlen und Daten, Statistiken und Zitate, angebliche Studien und unbekannte Namen in den Raum geworfen. Das alles simuliert detailliertes Wissen, dient allerdings nur der Einschüchterung. Denn die meisten einigermaßen normalen Menschen können zu der angeblichen Informationsflut nichts sagen. So kann man natürlich jede Diskussion für sich entscheiden. Ich weiß nur nicht, ob man das Fußballspiel für sich werten kann, nur weil man dem Gegner mit einem Tennisschläger bewusstlos geschlagen hat.
Intelligente Menschen sind in der Lage zuzuhören und spontan auf das Gesagte einzugehen, ohne in Nebenkriegsschauplätze zu flüchten. Sie erkennen ein Problem, analysieren es und suchen systematisch nach einer Lösung. Intelligente Personen überwältigen ihre Gesprächspartner*innen nicht mit Lautstärke, da sie nicht am Gewinnen interessiert sind, sondern an der bestmöglichen Lösung.